2/07/2018

Maria



Wir hatten uns mal wieder verspätet. Wir hasteten durch Korridore, drehten wieder um und liefen die Treppe hoch. Die nächste Etage, wir rannten fast, immer auf das Türschild achtend. Die Raumnummer, wie war sie doch gleich? Dann endlich, hier musste es sein. Wir hörten gedämpfte Musik, die anmutig über die grauen Gänge strich. Eine schmale Frau stand vor der Tür und gebot uns zu schweigen. Eine zwergenhafte Gestalt trat aus der Tür. "Frau Schlink ist gerade am Gehen!" Dann  unterhielt sie sich leise mit ihr und beachtete uns nicht mehr. Mein Freund trat nach vorne und schob die andere Frau beiseite. Er gab Frau Schlink lächend die Hand und tätschelte ihr die Wange. Sie wirkte wie ein Kind und lächelte gleichfalls. Dann schoben sich ihre Lippen nach vorne und sie schielte zu mir herüber. Ich stakste zu ihr und erklärte ihr mein Anliegen. Sie nickte kurz und öffnete mir die Tür.
Sie stand vor mir im Raum und ihre Bilder füllte die Wände. Riesige Bilder, gleißend weiß und scharfe deutliche Linien. Sie komponierten den Raum. Ihr Körper dagegen ein Klumpen, massiv und gedrungen. Über ihrer Stupsnase in dem zerfurchten Gesicht taxierten mich ihre Adleraugen. Ich schaute auf sie herab, bückte mich zuerst und straffte mich dann eiligst. "Maria, ich freue mich so, dass Sie sich Zeit genommen haben!" Dann begann ich mit meinen Erklärungen, lobte ihre Bilder, ihre Einrichtung, ging nochmal auf ihre Bilder ein. Als ihre Lider sich senkten und ihr Blick langsam abglitt suchte ich eilig nach Themen, die sie interessieren könnten.
"Schwedisch"
"Ja? Schwedisch? Können Sie etwa Schwedisch?"
"Nein, das nicht. Das heisst, ich habe Schweden oft beim Sprechen beobachtet."
"Ach tatsächlich? Wo denn ?"
Ich stockte. Mein Blick schweifte über ihre Striche. Weite, unendliche Weite und eine ungezähmte Kraft. Ihr scharfer Blick holte mich zurück. Eilig holperte ich weiter. Ihr Lininen durchkämmten gemächlich die weiße Landschaft, während ich meine Worte vorsichtig durch unser Gespräch schob. Nach einer Weile bekam ich Rückenschmerzen. Sie beobachtete mich weiter hinter halb geschlossenen Lidern.
Dann, in einer erschöpften Pause, gab sie sich einen Ruck und watete Richtung Ausgang. Ich hinterher, wieder gestikulierend. Draußen war es dunkel geworden. Die Straße ging steil bergab. Die Häuser ummauert. Aus dem Tal blinkten die Lichter. Sie schritt weiter die Straße hinab. Irgendwann blieb ich stehen. "Maria! Ich freue mich sehr über die Zeit, die Sie sich genommen haben!"  Sie blieb kurz stehen und lief dann wortlos weiter. Ein kleiner Punkt am Horizont.

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